Verschärft die Elektromobilität eine drohende Strommangellage?
Mit den Elektroautos braucht der Verkehrssektor immer mehr Strom. Verschärft die Elektromobilität also eine drohende winterliche Strommangellage? Und ist es noch angemessen, jetzt ein E-Auto zu kaufen? Zeit für einen Faktencheck.
Publiziert 09.08.2023 Lesedauer 5 minRekordhohe Energiepreise und die Gefahr einer Strommangellage liessen letztes Jahr die Wogen hochschlagen. Bei der emotionalen Diskussion stellt sich auch die Frage, ob Elektroautos mit ihren riesigen Batterien das Problem verschärfen.
Entsprechende Aussagen verunsichern Autofahrer*innen, die derzeit über den Wechsel von einem Verbrenner auf ein Elektroauto nachdenken. Sollten sie mit dem Kauf besser noch zuwarten, um den Stromverbrauch nicht zusätzlich zu erhöhen?
E-Mobilität heute: geringer Anteil am Stromverbrauch
Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick auf die Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2022, die der Bund im Sommer 2023 veröffentlicht hat. Erstmals weist sie den Stromverbrauch für die Elektromobilität separat im Sektor Verkehr aus. Demnach konsumierten Elektrofahrzeuge im Jahr 2022 352 GWh Strom. Setzt man die Zahl ins Verhältnis zum gesamten Stromverbrauch der Schweiz von 57 TWh, betrug der Anteil der E-Mobilität 0,6 Prozent.
Dieser Wert bezog sich auf den Bestand an Elektroautos im Jahr 2022. Gemäss den Zahlen des Bundesamts für Statistik machten Steckerfahrzeuge – Plug-in-Hybride und reine E-Autos – damals rund 2,5 Prozent des gesamten Bestands an Personenwagen aus. Mittlerweile dürfte der Anteil zwischen drei und vier Prozent betragen, da im laufenden Jahr nochmals mehrere Zehntausend neue Steckerfahrzeuge verkauft worden sind. Dennoch entfällt auf alle Elektroautos zusammen deutlich weniger als ein Prozent des Schweizer Stromverbrauchs.
Das zeigt: Der Einfluss der Elektromobilität auf einen drohenden Strommangel im kommenden Winter ist vernachlässigbar. «Noch liegt die Zahl von Elektrofahrzeugen zu tief für einen wesentlichen Effekt auf die Stromnachfrage», sagt Rami Syväri, Bereichsleiter Mobilität von Energie 360°. «Dennoch können auch die Fahrer*innen von E-Autos dazu beitragen, dass die Schweiz in den kommenden Monaten weniger Strom verbraucht.» Erreichen lässt sich das einerseits mit einem sparsamen Fahrstil und andererseits damit, das Elektroauto öfter mal gegen das Velo oder den öffentlichen Verkehr einzutauschen. Und wer sein E-Auto jetzt neu kauft, wählt am besten ein möglichst kleines und leichtes Modell.
Mit E-Autos die Transformation vorantreiben
Den Energieverbrauch des eigenen Elektrofahrzeugs zu senken, macht also durchaus Sinn – auch hinsichtlich der steigenden Strompreise. Hingegen bringt es für die Versorgungssicherheit als oberste Priorität nichts, den Kauf eines Elektroautos zu verschieben. «Die Schweiz hat sich mit der Roadmap Elektromobilität 2025, an der auch wir mitwirken, ein klares Ziel gesetzt: Bis 2025 sollen die Steckerfahrzeuge bei den Neuzulassungen einen Anteil von 50 Prozent erreichen», so Rami Syväri. «Wenn wir dieses Ziel jetzt aufgeben und die Transformation der Schweizer Fahrzeugflotte stoppen, lösen wir das Problem eines drohenden Stromengpasses nicht, beschleunigen aber den Klimawandel.»
Mit Blick auf die Klimaziele der Schweiz zeigt sich, wie gross der Handlungsbedarf im Verkehrssektor ist. Bei den Personenwagen haben die Treibhausgasemissionen gemäss dem neusten Treibhausgasinventar des Bundes von 1990 bis 2020 nur gerade um acht Prozent abgenommen. Zum Vergleich: Bei den Haushalten sind die Treibhausgasemissionen in der gleichen Zeit um 40 Prozent gesunken, unter anderem dank besserer Gebäudedämmung und effizienterer Heizungen.
Der grosse Vorteil von E-Autos: ihre hohe Energieeffizienz
Die Elektromobilität bedeutet nun die Chance, diesen Rückstand im Verkehrssektor aufzuholen. Denn Elektroautos funktionieren etwa dreimal so effizient wie Autos mit Verbrennungsmotor. Und während diese auf importierte Treibstoffe angewiesen sind, lässt sich die Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge komplett mit erneuerbarer, einheimischer Energie betreiben. Energie 360° zum Beispiel verwendet für ihre Ladelösungen gemäss Stefan Funk, Leiter Technologie & Lösungen Mobilität, ausschliesslich 100 Prozent erneuerbarem Strom: «So trägt die Elektromobilität dazu bei, dass die Nachfrage nach fossiler Energie sinkt.»
Studie zeigt: Elektromobilität reduziert Ölnachfrage
Die im Frühling 2022 veröffentlichte Studie «Zero-Emission Vehicles Progress Dashboard» von Bloomberg New Energy Finance macht klar: Die Transformation des Strassenverkehrs hin zur Elektromobilität senkt die Ölnachfrage spürbar. Durch den Verkauf von Elektrofahrzeugen aller Art – inklusive Zwei- und Dreirädern – wurden 2021 weltweit fast 1,5 Millionen Barrel Öl pro Tag weniger benötigt. Das entspricht mehr als drei Prozent der gesamten Nachfrage. 2015 war die durch die E-Mobility eingesparte Menge Öl noch halb so gross gewesen. Für einen besonders starken Effekt auf die Ölnachfrage sorgt gemäss der Studie der Wechsel sehr vieler Asiat*innen auf zwei- und dreirädrige E-Fahrzeuge.
In Zukunft: E-Autos ins Smart Grid einbinden
Dass sich die Elektroautos noch kaum auf die Stromversorgung in der Schweiz auswirken, ist allerdings eine Momentaufnahme. Parallel zu den steigenden Verkaufszahlen elektrischer Neuwagen wird auch der Strombedarf der Ladeinfrastruktur schrittweise zunehmen. Der Verband Swiss eMobility präsentiert in seiner Analyse «Szenario 2035: Marktdurchdringung für Steckerfahrzeuge (PEV) in der Schweiz» eindrückliche Zahlen. Demnach wird die Schweizer Personenwagenflotte im Jahr 2035 zwischen 2,4 und 2,9 Millionen Steckerautos zählen und der jährliche Strombedarf wird auf 5400 bis 6700 GWh steigen. Das entspricht rund einem Zehntel des gesamten Stromverbrauchs.
Doch bis dann wird die Schweiz ihr Energiesystem weitgehend umgebaut haben. Die heutigen Probleme einer drohenden Strommangellage dürften längst der Vergangenheit angehören. Denn erneuerbare Energien stehen bis dahin in genügender Menge zur Verfügung und werden mithilfe smarter Technologien optimal genutzt, um zu hohe Lastspitzen im Stromnetz zu vermeiden. Die Herausforderung wird also nicht mehr die benötigte Energiemenge sein, sondern die Leistungsspitze. Die Elektromobilität glättet diese durch smartes Laden zu Off-Peak-Zeiten, wenn eine geringe Nachfrage nach Energie herrscht. Das entlastet nicht nur das Stromnetz, sondern senkt auch die Gesamtkosten des Energiesystems.
Dazu sind die Elektroautos dereinst über die bidirektionale Ladeinfrastruktur ins Smart Grid eingebunden und spielen ihre Vorteile als regelbare Lasten und mobile Speicher aus. Durch ihre grosse Zahl tragen sie dann wesentlich zu stabilen Netzen bei. Oder wie Rami Syväri sagt: «Die Elektromobilität ist ein Problemlöser für die nachhaltige Energiezukunft.»
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