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«Energiekompetenz trägt wesentlich zu Nachhaltigkeitszielen bei»

Alle Gebäude der Schweiz machen über 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs aus. Wie plant man vor diesem Hintergrund Sanierungen und Neubauten? Immobilienentwickler Moritz Angelsberger zu Planungszyklen, Nachhaltigkeitszielen, E-Mobilität und Contracting.

Publiziert 16.10.2023 Lesedauer 7 min

1,7 Millionen Immobilien, knapp 80 Prozent der Schweizer Gebäude, sind heute energetisch sanierungsbedürftig. Bei der aktuellen Sanierungsquote von 0,9 Prozent würde es 100 Jahre dauern, bis alle davon saniert sind. Und dann ist ein Grossteil bereits wieder veraltet. Mit welchen Erneuerungszyklen rechnen Sie? 

Wir unterscheiden zwischen Instandhaltung, Instandsetzung und Erneuerung. Instandhaltungen sind kleinere Reparaturen und Massnahmen. Die Instandsetzung beinhaltet zyklische Aufwendungen, um die Sicherheit und die Gebrauchstauglichkeit einer Wohnung oder eines Gebäudes wiederherzustellen – zum Beispiel, indem die Fenster oder ein Boiler ersetzt werden. Die Erneuerung findet dann in den grossen Zyklen statt, entweder mit einer umfassenden Gebäudesanierung oder, falls unumgänglich, mit einem Abbruch und Ersatzneubau. Bei Grosssanierungen beträgt dieser Zyklus 30 bis 35 Jahre und hängt von verschiedenen Faktoren ab.

Von welchen Faktoren hängt der Erneuerungszyklus ab?

Von sehr vielen. Welche Baumaterialien sind verbaut? Mit welcher Qualität? Wie unterhaltsarm oder langlebig sind die Materialien? War es ein kompletter Neubau? Haben sich die Bedürfnisse geändert? Wie hat man sich mit Instandhaltung und Instandsetzung um die Immobilie gekümmert? Im Prinzip ist es ähnlich wie mit einem Auto: Wenn man dieses über Jahre nie in den Service gibt und dann auch noch dem Auto keine Sorge trägt, wird man eher früher mit einer grösseren Reparatur konfrontiert.

Warum ist die Sanierungsquote in der Schweiz so tief? Wo müsste man beschleunigen, um energetisch vorwärtszukommen?

Die bremsenden Gründe sind zahlreich. Vieles betrifft die politische, gesetzliche und verwaltungstechnische Ebene, sodass der Anreiz zu klein ist und die Risiken für Besitzer*innen, Investor*innen oder Immobilienentwickler*innen zu gross sind. Ein Thema ist der Denkmalschutz – ohne Zweifel ein sehr wichtiger Aspekt, der aber manchmal etwas gar weit ins Detail geht. Folglich lassen viele lieber die Finger von solchen Bauprojekten. Dazu kommen lange Bewilligungsverfahren, die ganze Einsprachethematik oder gesetzliche Vorgaben, die sich von Kanton zu Kanton unterscheiden. Weiter wirken die aktuell steigenden Bau- und Finanzierungskosten massiv zulasten der Nachhaltigkeitsthemen.
Und dann ist da noch die soziale Frage: Was passiert mit den ganzen Immobilien, die saniert wurden? Sind die Mieten danach noch erschwinglich? Was passiert mit der Mieterschaft die heute dort drin lebt? Eine komplette Verdrängung sollte auf jeden Fall verhindert werden. Das entspricht nicht der sozialen Nachhaltigkeit. Auch dieses Thema braucht Beachtung. Die Herausforderung ist: Je grösser und komplexer ein Projekt ist, desto mehr Stakeholder muss man abholen, auch die Öffentlichkeit.

Führt das Abholen der Stakeholder zu einer Qualitätssteigerung?

Definitiv. Sogenannte partizipative Verfahren geben wichtige Insights. Am Schluss muss ein Produkt für die Kund*innen stimmen. Im Immobilienbereich sind das die Menschen, die dort wohnen.

Gemäss Moritz Angelsberger gibt es zahlreiche Gründe für die langsame Sanierungsquote in der Schweiz. Viele betreffen die politische, gesetzliche und verwaltungstechnische Ebene.

An welchen Nachhaltigkeitszielen orientieren Sie Ihre Projekte?

Es gibt drei Nachhaltigkeitsziele, an denen man sich orientieren kann: die ökonomische, die ökologische und die soziale Nachhaltigkeit. Die dauerhafte Nachhaltigkeit wird per Definition nur erreicht, wenn alle drei gleichmässig berücksichtigt sind – in der Theorie. Dies gibt Immobilienentwickler*innen gewisse Guidelines. Wichtig zu erwähnen ist aber, dass man vieles, aber nie alles umsetzen kann. So steht bei der ökologischen Nachhaltigkeit die Reduktion der grauen Energie und der CO2-Emissionen im Vordergrund. Ökonomisch gesehen ist es der sorgfältige Umgang mit den Baukosten, aber auch, wie unterhaltsarm die Bauteile sind. Aus sozialer Sicht sind erschwingliche Mieten ein riesiges Thema. Je nach Fokus hat man natürlich gewisse Zielkonflikte, sodass zum Beispiel die ökologisch nachhaltige Bauweise die Zielkosten erheblich übersteigt. Umso mehr brauchen die Immobilienentwickler*innen eine klare Projektvision, die in der Projektstrategie, im Businessplan und im Pflichtenheft integriert ist. Viele Inputs dazu sind oft bereits von den Unternehmen und ihren Nachhaltigkeitsleitenden vorgegeben. Und dennoch sollen die Immobilienentwickler*innen den Mut haben, Anstösse zu geben, zum Beispiel für eine Fassadenbegrünung. Wir müssen vermehrt in solche Richtungen denken, auch wenn es immer 100 Gründe dagegen gibt.

Hilft ein Contractor, um diese Nachhaltigkeitsziele zu erreichen?

Je weniger Know-how man selber hat, desto mehr lohnt es sich, einen Contractor hinzuziehen, wie eben Energie 360° mit ihrer Energiekompetenz. Diese trägt sicher wesentlich zu den ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeitszielen bei.

Welche weiteren Partner*innen sind Ihnen wichtig, um diese Ziele zu erreichen?

Viele. Das A und O sind für mich die Architekt*innen, denn sie legen für sehr vieles den Grundstein und sind die eigentlich Kreativen.
Weitere wichtige Partner*innen sind zum Beispiel Bauingenieur*innen, Qualitätsmanager*innen, Nachhaltigkeitsberater*innen, HLKS-Planer*innen, Elektroingenieur*innen, Landschaftsarchitekt*innen und Kostenplaner*innen. Bei einem partizipativen Verfahren kann es sinnvoll sein, auch Soziolog*innen hinzuzuziehen.
Bei all diesen Partner*innen, inklusive Contractor, ist meine Devise: Je früher man diese hinzuzieht, desto besser, um dann in einem partnerschaftlichen Modell zu arbeiten. Und am besten auch parzellenübergreifend, zum Beispiel mit einem ZEV (Zusammenschluss zum Eigenverbrauch). Mit Gärtchendenken erreichen wir keine Nachhaltigkeitsziele. Im Endeffekt geht es um einen integrale nachhaltige Immobilienentwicklung.

Wie stehen Sie zum Open-Book-Verfahren?

Der Open-Book-Ansatz, also das Offenlegen der ganzen Kosteninformationen, bringt sehr viel. Er verhindert Misstrauen, indem er Licht ins Dunkel bringt. Die Leute setzen sich mit den Themen auseinander, sehen die Zahlen dahinter und verstehen, um was es geht. Insbesondere hat man bereits zu Beginn eine Kostensicherheit und verhindert dadurch grössere Umplanungskosten bzw. Doppelspurigkeiten in der Planung.

  • «Mit Gärtchendenken erreichen wir keine Nachhaltigkeitsziele.»

    Moritz Angelsberger

    Immobilienentwickler

  • Haben Nachhaltigkeitsthemen einen Einfluss auf den Diskontierungssatz?

    Der Diskontierungssatz setzt sich aus mehreren Faktoren zusammen. Vereinfacht gesagt nimmt man den Basiszinssatz und auf diesen gibt es Zu- und Abschläge, beispielsweise Lage, Verwaltungskosten, Leerstandsrisiko oder sonstige Projektrisiken. Seit einiger Zeit finden auch immer mehr Nachhaltigkeitsthemen Einzug in die Bewertungspraxis, die bei der Umsetzung der Nachhaltigkeit für Abschläge sorgen. Zuschläge gibt es, wenn die Nachhaltigkeit nicht umgesetzt wird. Verbaut man zum Beispiel heute noch eine nicht erneuerbare Heizung, hat das auch eine Auswirkung auf den Diskontsatz. Somit ist die Antwort klar: Ja, Nachhaltigkeitsthemen haben einen Einfluss auf den Diskontsatz.

    Ein Planungshorizont von 35 Jahren ist extrem lang. Wer weiss schon, was wir bis dahin brauchen?

    Das stimmt. Denken wir nur mal an die Ladeinfrastruktur: Wer weiss schon, wie diese in 35 Jahren sinnvoll aussieht? Und doch müssen wir solche Entscheidungen treffen, was extrem schwierig ist. Ich finde, alle Immobilienentwickler*innen haben eine sehr grosse Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit. Jede Entscheidung, die sie fällen, hat direkte Auswirkung auf das Immobilienprojekt, die Umgebung und auf die Gesellschaft. 

  • «Immobilienentwicklung ist für mich schon lange kein Job mehr, sondern eine Leidenschaft mit einem Sinn dahinter.»

    Moritz Angelsberger

    Immobilienentwickler

  • Ein Blick in die Zukunft: Wie sieht eine Tiefgarage im Jahr 2040 aus und wie wird sie genutzt? 

    Bei dieser Frage muss ich an die Aussage eines Dozenten zum Thema duale Planung denken, der Folgendes in den Raum gestellt hat: Stellen Sie sich vor, wir bauen eine Tiefgarage mit einem Parkplatz pro Wohnung. Was ist, wenn wir diese in 30 Jahren gar nicht mehr benötigen? Was machen wir mit all diesen Tiefgaragen? Das ist ein sehr guter Gedanke, finde ich. Vielleicht setzt sich der gesellschaftliche Trend tatsächlich durch, dass wir gar keine Autos mehr besitzen.
    Aber gehen wir vom Szenario aus, dass sich die Elektroautos durchsetzen: Investor*innen werden so planen, dass der Grundausbau für die Elektromobilität zu 100 Prozent da ist oder man später zumindest nachrüsten kann. So werden 2040 wohl alle ihr Auto in der Tiefgarage laden. Weiter glaube ich, dass sich die ganze Technologie rund ums Laden der Elektroautos inklusive Batteriespeicherung noch stark verbessern wird. Vielleicht werden künftige Tiefgaragen auch kleiner, weil innovative und finanzierbare Parking-Konzepte kommen, die Platz sparen.
    So oder so glaube ich, dass sich das Verhalten ändern und nicht mehr fast jede*r ein eigenes Auto besitzen wird.

    Und wie sieht 2040 die Wärme- und Energieversorgung aus?

    Eine ähnlich schwierige Frage. Wer weiss schon, was sich durchsetzt? Ich denke und hoffe, dass die Konzepte immer ausgeklügelter werden. Aktuell spannend ist das bidirektionale Laden, sodass die Elektroautos zum Stromspeicher werden. Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Tiefgarage voller Autos als Batterie, die der Haushalt anzapfen kann, vielleicht auch für das Heizsystem. Regulatorisch muss hier sicher noch einiges geschehen. Die Technologien werden jedoch immer besser, sodass sich solche Lösungen auch finanziell lohnen werden.
    Generell habe ich grosse Hoffnung, dass wir 2040 viel mehr über Parzellengrenzen hinaus planen. Dass alle Beteiligten auch immer nach rechts und links schauen und sich überlegen, wie wir was beeinflussen. Wie gesagt, als Immobilienentwickler*in hat man eine Verantwortung und die muss man auch wahrnehmen, denn die Planung und Entwicklung ist die wichtigste Phase, um mit einem coolen Projekt Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, die der Gesellschaft etwas bringen. Deshalb ist für mich die Immobilienentwicklung schon lange kein Job mehr, sondern eine Leidenschaft mit einem Sinn dahinter.

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