Wir suchen nicht nur Technologien, sondern Menschen mit Visionen
Mit dem Smart Energy Innovationsfonds fördert Energie 360° seit zehn Jahren Start-ups. Gründerin Ruth Happersberger blickt zum Jubiläum zurück auf die Erfolgsgeschichten der vergangenen zehn Jahre.
Publiziert 06.03.2025 Lesedauer 5 minFrau Happersberger, vor über einem Jahrzehnt haben Sie den Smart Energy Innovationsfonds ins Leben gerufen. Wie kam es dazu?
Energie 360° gestaltet die Transformation des Energiesystems aktiv mit. Uns war früh klar, dass wir für die Entwicklung neuer Lösungen nicht ausschliesslich auf interne Ressourcen und Ideen setzen können. Deshalb haben wir unseren Innovationsprozess im Sinne von Open Innovation geöffnet. Wir entschieden uns bewusst für die Zusammenarbeit mit externen Partnern. Der konkrete Auslöser für den Innovationsfonds war mein erster Kontakt mit einem Start-up im Bereich Power-to-Gas. Ich war fasziniert von den Gründer*innen und ihrer Denkweise. Schnell wurde mir allerdings klar, dass klassische Beteiligungsstrukturen für Start-ups nicht geeignet sind.
Weshalb?
Ein etabliertes Unternehmen wie Energie 360° tickt anders als ein Start-up. Gründer*innen brauchen Vertrauen in die Zukunft, in das Team und in ihre Vision. Deshalb wollten wir bei Energie 360° Start-ups von Beginn an in einem separaten Gefäss bündeln und mit ihnen auf Augenhöhe zusammenarbeiten. So entstand vor zehn Jahren der erste Corporate-Venture-Capital-Fonds im Energiebereich in der Schweiz. Mit dem Smart Energy Innovationsfonds von Energie 360° spurten wir vor. Es war für uns ebenfalls ein Experiment, ob wir mit unserem Vorhaben Erfolg haben. Wir haben uns gefühlt wie Gründer*innen.
Was ist ein Corporate-Venture-Capital-Fonds?
Venture Capital ist Kapital, das Investor*innen innovativen Start-ups zur Verfügung stellen, um deren Wachstum und Entwicklung zu finanzieren und somit auch an deren finanziellem Erfolg zu partizipieren. Der Smart Energy Innovationsfonds ist mehr: ein Corporate-Venture-Capital-Fonds. Damit wird die Innovationskraft eines etablierten Unternehmens – hier Energie 360° – durch Kollaborationen mit Start-ups gestärkt. Ein exemplarisches Beispiel für eine Kooperation bietet das Engagement in das EPFL-Start-up Insolight, das Solarmodule für die Landwirtschaft bzw. landwirtschaftliche Nutzflächen entwickelt.
Was genau macht den Smart Energy Innovationsfonds aus?
Start-ups stehen oft vor der Herausforderung, ihre Technologie nicht nur zu entwickeln, sondern auch zu skalieren. Wir helfen ihnen, Geschäftsmodelle zu hinterfragen und das Unternehmen professionell zu strukturieren. Das Gründer*innenteam profitiert also nicht nur von unserer Finanzierung, sondern auch von der Möglichkeit, mit unseren Expert*innen zusammenzuarbeiten. Zudem erhalten sie Zugang zu unserem Netzwerk und unserem Kund*innenportfolio – ein echter Mehrwert, der uns im Markt und in der Venture-/Start-up-Szene eine starke Position verschafft.
Sie sprechen den Mehrwert an, den Energie 360° aus diesen Partnerschaften zieht. Können Sie näher darauf eingehen?
Energie 360° erhält durch den Smart Energy Innovationsfonds direkten Zugang zu innovativen Technologien und neuen Geschäftsmodellen. Ein Beispiel ist Insolight, ein Start-up für Agri-Photovoltaik. Durch die Zusammenarbeit konnte Energie 360° diese Technologie in das eigene PV-Portfolio integrieren. Ein anderes Beispiel: Die Lösung des Start-ups Stabl Energy, das Second-Life-Batterien als Speicher nutzt, haben wir in die Überbauung Arrivo in Kloten eingebaut – auch von diesem Pilotprojekt versprechen wir uns viel. Die grosse Herausforderung beim Einsatz von grossen Batteriespeichern besteht darin, dass sie zwar die gewünschte Speicherflexibilität bringen, aber noch teuer sind. Wenn wir mit den Second-Life-Batterien von Stabl Energy die Technologiekosten senken können, ist das ein grosser Schritt. Das sind nur zwei Beispiele für technologische Synergien, die unsere interne Innovationskultur stärken und somit die eigene Transformation beschleunigen.
Das Team um Ruth Happersberger analysiert pro Jahr rund 1000 Geschäftsmodelle von Start-ups.
Wie findet Ihr Team ein Start-up? Oder werden Sie eher «gefunden»?
Unser Team analysiert jährlich rund 1000 innovative Geschäftsmodelle. Besonders wichtig sind dabei unsere Netzwerke – wir sind eng mit Hochschulen, Investor*innen und anderen Unternehmen verbunden. Mittlerweile kommen auch viele Start-ups direkt auf uns zu – unser Netzwerk innerhalb der Venture-/ Start-up-Szene funktioniert sehr gut.
Nach welchen Kriterien investiert Energie 360°?
Wir investieren in Start-ups, die ein marktreifes Produkt oder zumindest eine sehr fortgeschrittene Technologie haben – und zwar innerhalb unserer strategischen Innovationsfelder. Wir suchen also Unternehmen, die die Energiewende vorantreiben, die Energieeffizienz neu definieren, die nachhaltige Mobilität revolutionieren und die CO₂-Entfernung beschleunigen.
Letztendlich spielt auch das Gründer*innenteam eine zentrale Rolle: Wir müssen spüren, dass sie eine gemeinsame Vision verfolgen, flexibel auf Herausforderungen reagieren und bereit sind, kontinuierlich zu lernen.
Wie verbinden Sie die Start-ups mit dem Innovationsbedarf von Energie 360°?
Wir stehen in engem Austausch mit unseren Fachbereichen. Sie melden uns gezielt ihre Bedürfnisse, etwa im Bereich Speichertechnologien oder CO₂-Reduktion. So können wir gezielt nach passenden Start-ups suchen. Ein Beispiel ist das erwähnte Start-up Stabl Energy: Unser interner Bedarf an innovativen Speicherlösungen traf hier auf ein vielversprechendes Start-up.
Investitionskomitee – wer entscheidet mit?
Ruth Happersberger hat das Investitionskomitee als Vorsitzende interdisziplinär zusammengesetzt. So ist eine fundierte Bewertung der Start-ups gewährleistet.
Weitere Mitglieder des Investitionskomitees sind:
- Dr. Christian Schaffner, Leiter des Energy Science Center an der ETH Zürich. Er bringt wissenschaftliche Expertise ein und bewertet technologische Innovationen.
- Dr. Monika Krüsi – Mitglied des Verwaltungsrats von Energie 360°. Sie stellt sicher, dass die Investitionen finanziell und strategisch sinnvoll sind.
- Alexander Fries – Schweizer Investor mit über 20 Jahren Erfahrung im Silicon Valley. Er bringt wertvolles Wissen aus dem Venture-Capital-Bereich ein, insbesondere zu Skalierung, Marktstrategien und Vertrieb.
Das Komitee prüft die Start-ups aus verschiedenen Blickwinkeln – technologische Machbarkeit, Marktpotenzial, finanzielles Wachstum, strategischer Fit – und entscheidet im Konsens.
Gab es auch Misserfolge?
Ja, natürlich. Manchmal entwickeln sich Start-ups langsamer als erwartet oder der Markt verändert sich. Ein Beispiel: Wir investierten in ein Start-up, das für Gemeinden eine innovative Smart-Grid-Lösung entwickelt hatte. Die Technologie war gut, aber in der Schweiz schwer umsetzbar. Später wurde das Unternehmen von einem deutschen Energieversorger übernommen, wo das Marktumfeld besser passte.
Nach zehn Jahren – wie geht es mit dem Innovationsfonds weiter?
Unser Erfolg zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Deshalb machen wir weiter, reflektieren aber stetig unsere Strategie und Investitionskriterien. Auch neue Kooperationsformen mit anderen Investor*innen, Hochschulen und Start-ups sind denkbar. Kurz gesagt: Wir bleiben offen für Neues – so, wie es sich für einen Innovationsfonds gehört.
Was haben Sie persönlich in den letzten zehn Jahren gelernt?
Die Arbeit mit Start-ups und den Menschen dahinter inspiriert mich. Ich habe gelernt, wie wichtig Offenheit und Anpassungsfähigkeit sind. Die Dynamik im Start-up-Umfeld ist hoch, da ist Flexibilität ein Muss. Ich mag es, Brücken zu bauen – zwischen Start-ups, etablierten Unternehmen und Investor*innen.
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