CO2-Entnahme aus der Luft: Die Lunge diente als Vorbild
Das Unternehmen Ucaneo entwickelt innovative elektrochemische Anlagen zur CO2-Entnahme aus der Luft. Mit diesem Ansatz, der der menschlichen Lunge nachempfunden ist, werden weniger Energie und Kosten benötigt als bei bisher verfügbaren Technologien.
Publiziert 11.12.2024 Lesedauer 5 minDie weissen, mit Lüftern bestückten Module des Start-ups Ucaneo aus Berlin sehen unscheinbar aus. In Tat und Wahrheit läuft darin ein hochkomplexer Prozess ab, der massgeblich zum Klimaschutz beitragen kann. Denn mit diesen Anlagen wird Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Luft entfernt. CO2-belastete Luft aus der Atmosphäre und Strom kommen in die Maschine rein, saubere Luft und >95% hochkonzentriertes CO2-Gas raus. «Ein Modul in der Grösse eines Containers macht in etwa auf 15 Quadratmetern das, wozu in der Natur 35 000 Bäume benötigt werden», sagt Florian Tiller, der Ucaneo im Mai 2022 zusammen mit Carla Glassl gegründet hat. Nach dem Bau des ersten Laborprototypen Ende 2023 und der erfolgreichen CO2-Filterung aus der Luft, baut Ucaneo nun die ersten industriellen Module. Laut externer Machbarkeitsstudie mit TTP aus Cambridge verspricht das Verfahren schon in den kommenden Jahren eines der günstigsten der Welt zu werden. 2026 soll die Technologie auf den Markt kommen. Jedes dieser industriellen Module soll jährlich zwischen 500 und 1000 Tonnen CO2 aus der Luft entnehmen können. Dank der modularen Bauweise können beliebig viele Bausteine zusammengeschaltet werden, um damit grössere Anlagen zwischen 1000 und 50 000 Tonnen CO2 pro Jahr Kapazität schnell und robust zu realisieren.
Energiesparend CO2 aus der Luft filtern
Kohlenstoffdioxid aus der Luft einzufangen – sogenannte Direct Air Capture (DAC) Technologien – benötigt heute sehr viel Energie und ist dementsprechend teuer. Das Kohlenstoffdioxid (CO2) wird in der Regel an ein Lösungsmittel oder an einen Feststoff gebunden und anschliessend stark erhitzt, um die chemische Verbindung wieder aufzubrechen und diesen «chemischen Schwamm» wiederzuverwenden. «Durch diese hohen Temperaturen von teilweise bis zu 900° C ist es fraglich, ob diese Technologien jemals bezahlbar werden», sagt Florian Tiller. Ucaneo verfolgt einen vollständig neuen und innovativen Ansatz. Anstatt wie ein chemischer Schwamm CO2 atomar zu binden und mit Hitze wieder aufzubrechen, löst Ucaneo das CO2 nur in einem Lösungsmittel in einer schwachen Bindung und nutzt einen sogenannten pH-Swing, um das CO2 bei Raumtemperatur und lediglich mit Strom als Energiequelle wieder zu lösen. «Inspiriert von der menschlichen Lunge und den biologischen Prozessen in unserem Körper, haben wir eine sehr elegante Lösung gefunden, CO2 mehr als 50% energieeffizienter und signifikant günstiger aus der Luft zu entnehmen», erklärt Carla Glassl. Ucaneo fokussiert sich dabei auf die Entwicklung neuer Lösungsmittel und innovativer Prozessintegration. Um die Geschwindigkeit der Skalierung zu ermöglichen, werden bestehende Kernkomponenten mit existierenden Lieferketten verwendet. Für die Kund*innen seien nicht nur die hohen Kosten- und Energieeinsparungen interessant, sondern vor allem, dass die Technologie sich gut mit erneuerbaren Energien koppeln lassen kann. «Damit können wir unseren Prozess je nach Energielasten intelligent steuern, um so indirekt wie eine Art Batterie zu agieren», sagt Tiller.
In Boden einspeichern oder weiterverwenden
Nach dem Prozess kann das entnommene Kohlenstoffdioxid in den Boden eingelagert oder weiterverarbeitet werden. Bei der Speicherung wird das CO2 für tausende von Jahren aus der Atmosphäre entfernt. Ucaneo verkauft diese Negativemissionen als Emissionszertifikate. Das Start-up bietet Unternehmen dadurch die Möglichkeit, ihren ökologischen Fussabdruck zu verbessern. Das hochkonzentrierte CO2-Gas kann aber auch weiterverwendet werden. «Das reine Kohlenstoffdioxid kann beispielsweise für die Herstellung synthetischer Treibstoffe, in der Getränkeindustrie oder in der Chemieindustrie verwendet werden. Wir bauen im Prinzip einen komplett neuen und nachhaltigen Weg für die Produktion von neuen Materialien und Produkten auf», sagt Tiller. Aktuell ist der Rohstoff dafür jedoch in der Regel noch zu teuer. Das Gründerteam hofft deshalb, dass in den kommenden Jahren ein florierender Markt um ihre Technologie entsteht. Mit dieser Entwicklung würde auch der Preis des Rohstoffs sinken.
Die Idee überzeugt die Investoren
Bei Investoren kommt die von Ucaneo erfundene Technologie gut an. Erst kürzlich konnten 6,75 Millionen Euro an Förder- und Investitionsgeldern gesammelt werden. Ein Teil davon stammt aus dem Smart Energy Innovationsfonds von Energie 360°. «Wir unterstützen Ucaneo, weil wir davon überzeugt sind, dass ihr Ansatz die bestehenden Herausforderungen in der CO2-Entfernung nachhaltig bewältigen kann», erklärt Demis Acrostelli vom Smart Energy Innovationsfonds. Das Gründerteam hätte mit seiner Vision und seiner Innovationskraft überzeugt. «Durch die Nutzung erneuerbarer Energiequellen und einer modularen, skalierbaren Architektur bietet Ucaneo eine flexible und kosteneffiziente Lösung, die weltweit einsetzbar ist», fügt Acrostelli an. Mit dieser Idee könne der DAC-Markt revolutioniert werden.
Starkes Firmenwachstum und neue Produktionshalle
Seit der Firmengründung 2022 ist das Unternehmen auf zwölf Mitarbeitende angewachsen. Bis zum Ende des Jahres werden nochmals etwa fünf bis zehn Teammitglieder dazukommen. Das Firmenwachstum ist notwendig. Denn Tiller und Glassl haben grosse Ziele: «Unser Ziel ist, dass wir ab 2035 jährlich eine halbe Gigatonne CO2 aus der Atmosphäre entnehmen.» Dies entspricht rund einem Prozent der weltweiten Emissionen. Zurzeit entwickelt Ucaneo die ersten grösseren Anlagen, die zeigen sollen, dass die Technologie im industriellen Massstab funktioniert. Sie bauen die ersten Anlagen in ihrer Produktionsstätte mitten in Berlin, die zu einer der grössten Piloten Deutschlands gehört.
Meilensteine
Ucaneo wird im Mai gegründet. Im Juni verkauft das Unternehmen bereits die ersten zehn Tonnen CO2 – als Vorleistung. Im Juli schliessen sie ihre erste Finanzierungsrunde ab.
Im Dezember wird der erste Laborprototyp gebaut.
Bei einer grossen Finanzierungsrunde sammelt Ucaneo Investoren- und Fördergelder ein. Der Smart Energy Innovationsfonds von Energie 360° führt die Runde zusammen mit der Investitionsbank Berlin an. Darüber hinaus verkauft Ucaneo bereits knapp 300 Tonnen CO2 an den renommierten Milkywire Climate Transformation Fund. Ebenfalls errichtet Ucaneo eine neue Betriebsstätte in Berlin Marzahn.
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