Energieverbund Thalwil: chrampfen in 30 Metern Tiefe
Ralf Zwahlen geht täglich ins Wasser. Der Berufstaucher arbeitet an der Seewasserfassung für den Energieverbund Thalwil. Ab Spätherbst beziehen rund 100 Haushalte der Gemeinde erneuerbare Energie aus dem See. Porträt eines «Froschmannes».
Publiziert 27.07.2023 Lesedauer 7 min«Hallo, ich bin Ralf.» Die unkomplizierte Begrüssung begleitet ein fester Händedruck. Der Mann kann anpacken, denke ich spontan. Einer, auf den man sich verlassen kann. Wir treffen Zwahlen in Oberrieden am Seeufer. Er und seine Kolleg*innen wassern heute zwei Bauwerke ein. Die beiden Bauteile schleppen sie später mit einem Ponton seeabwärts. Sie gehören zum System Energieverbund Thalwil. Dazu später mehr.
Während Ralf Zwahlens Kolleg*innen die beiden schweren Bauteile mit einem Kran Richtung See manövrieren, spricht sich mein Gesprächspartner kurz mit seinem Baustellenchef ab. Dann räumt er einen Materialwagen aus und schafft Platz. Dort können wir uns in Ruhe unterhalten. Ein Pragmatiker ist mein zweiter Gedanke.
«Learning on the job» mit den Erfahrensten
Der 46-jährige Zwahlen ist seit 20 Jahren bei der Willy Stäubli Ing. AG angestellt. Das Horgener Unternehmen hat jahrzehntelange Erfahrung im Wasserbau. Der gelernte Schlosser ist mit 26 Jahren in das Unternehmen eingetreten. Da es in der Schweiz keine anerkannte Berufstauchendenausbildungen gibt – der Markt ist viel zu klein – hat Zwahlen seine Ausbildung «on the job» erhalten. Vier Jahre habe es gedauert, bis ihn die erfahrenen «Seehasen» eingefuchst hatten.
Woher kommt diese Faszination fürs Tauchen? «Ich bin durch meinen Vater, einen begeisterten Hobbytaucher, zum Tauchen gekommen.» Schon als Kind sei er viel unter Wasser unterwegs gewesen, erzählt Ralf Zwahlen. Seine Vorbilder waren Meeresforscher und Naturschützer wie Jacques-Yves Cousteau oder Hans Hass: «Ihre Filme habe ich immer mit Begeisterung im Fernsehen verfolgt. Ich habe sogar noch ein Original-T-Shirt von Cousteaus Forschungsschiff ‹Calypso› zu Hause.»
Harti Büez im See
Von den Weltmeeren zurück in den Zürichsee bei Thalwil. Was genau macht er dort in den Seetiefen? «Letztes Jahr haben wir zwei Rohre aus Polyethylen im See verlegt: Das eine Rohr saugt das Wasser an. Die im Wasser enthaltene Energie wird über einen Wärmetauscher genutzt und in einen separaten Kreislauf abgegeben. Danach strömt das Wasser über eine zweite Rohrleitung zurück in den See.» Bei den anstehenden Arbeiten geht es darum, das Rückführungsbauwerk und das Fassungsbauwerk zu montieren. Das Fassungsbauwerk wird vorne ans Rohr geflanscht. Das silberfarbene Objekt sieht elegant aus, wiegt aber satte 1,5 Tonnen. «Das Wasser wird durch die Filterkonstruktion angesogen und über einen Wärmetauscher ins System eingespeist», erklärt Ralf Zwahlen. «Das Rückführungsbauwerk montieren wir ans Ende des Systems. Wenn das Wasser in den See zurückströmt, passiert es eine Art Quirl. So wird das Wasser durchmischt und die Unterwasserwelt geschützt.»
Soweit ist alles klar. Aber was um Himmels willen ist Flanschen? «So nennen wir den Vorgang, wenn wir zwei Rohre miteinander verbinden, oder eben wie in Thalwil ein Objekt an einem Rohr befestigen. Dabei arbeiten wir in rund 30 Metern Tiefe», erklärt Ralf Zwahlen.
Körper und Psyche in Balance
Wie reagiert der Körper auf solche Arbeiten in der Tiefe? Ist das ein Job, den jede und jeder machen kann? «Eine gute Grundkonstitution sollte man schon mitbringen. Das hilft, wenn wir in starken Strömungen oder mit schwerem Gerät arbeiten. Im Wasser arbeiten wir meist mit Werkzeugen, die hydraulisch oder pneumatisch angetrieben werden: Kettensägen, Bohr- und Schraubmaschinen, Trennscheiben, solche Sachen. Ausserdem sollten bei Berufstauchenden Körper und Geist im Einklang sein. Und, klar, Platzangst ist keine gute Voraussetzung in unserem Beruf. Wir tauchen oft in engen Gebilden wie Schächten oder Röhren.»
Schächte und Röhren im See? «Nein, nein», sagt Zwahlen und lacht. «Im See kommt das seltener vor. Aber wir arbeiten auch in Kläranlagen, Brunnen oder Wasserkraftwerken. Wir bauen und unterhalten Hafenanlagen und kümmern uns um Trinkwassersysteme. Da kann es manchmal schon etwas eng werden.»
Gegenseitiger Respekt führt zum Ziel
Angst, ist das ein Thema bei der Arbeit? «Angst sicher nicht, aber Respekt vor der Aufgabe. Bei den Arbeiten unter Wasser steht das Thema Sicherheit ganz zuoberst. Wir führen junge Tauchende immer mit erfahrenen Kolleg*innen in die Aufgaben ein. Wir müssen uns zu 100% auf die Menschen verlassen können, mit denen wir arbeiten. Unter und auf dem Wasser. Bei Tauchgängen wird die Atemluft über eine Schlauchversorgung nach unten geleitet. So atmen wir optimal abgestimmte Gasgemische. Über Wasser werden alle Parameter wie Tiefe, Zeit, Gase usw. von Kolleg*innen überwacht. In unserem Team pflegen wir auch privat Kameradschaft. Vielleicht sind wir ein spezielles Völklein: Tauchende kommen einfach gut miteinander aus. Gewisse Arbeiten sind nicht ganz ungefährlich. Ein gemeinsamer Einsatz schweisst uns zusammen.
Professionelle Vorbereitung ist alles: «Wir besprechen die anstehenden Aufgaben bereits am Vortag. Worauf müssen wir besonders achten? Welche Werkzeuge brauchen wir? Haben wir Ersatzwerkzeug dabei? Wie muss das Backup für den Job in fast 30 Metern Tiefe zusammengesetzt sein? Wer übernimmt welche Aufgaben? Jeder im Team weiss genau, was er in den kommenden Stunden zu tun hat. Verantwortung unseren Mitarbeitenden gegenüber, aber auch Verantwortung gegenüber den Kund*innen sind zentral. Das gibt allen die notwendige Sicherheit beim Tauchen.
Vorsicht ist immer angesagt
Hat Ralf Zwahlen in all den Jahren auch schon eine haarige Situation erlebt? «Aufpassen müssen wir immer», erzählt er. «Da sind Gefahren, die durch Materialfehler oder Dritte entstehen können: eine kaputte Winde zum Beispiel, oder es fällt ein Gegenstand unkontrolliert ins Wasser. Schiffe oder der Wind verursachen Wellen, auch unter Wasser. Eine Leitung nimmt diese Wellen auf und beginnt zu schwingen. Da müssen wir besonders gut aufpassen. Und klar, die Tauchtiefe ist ein wichtiges Thema. Mein tiefster Tauchgang ging so auf 65/70 Meter hinunter. Da müssen die Kolleg*innen oben alles im Griff haben.
Von den Fischen her ist es in der Schweiz übrigens recht entspannt. Trotzdem kann es zu interessanten Situationen kommen. Ein Kollege wurde von einem Zander angegriffen und ist ganz schön erschrocken. Dieser Raubfisch wird locker 50 Zentimeter gross. Obwohl wir die Fischschonzeiten konsequent einhalten, war er wahrscheinlich dem Laichplatz etwas zu nahegekommen. Das ist aber die grosse Ausnahme: Wir wollen den Gewässern Sorge tragen.
«Der Sommer ist unsere schwache Saison, im Winter haben wir mehr zu tun. Im Winter herrscht auf dem See weniger Betrieb. Die Häfen sind leer, weil die vielen Boote ausgewassert sind. Stellen Sie sich Arbeiten in einem Hafen im Hochsommer vor. Das wäre viel zu gefährlich. Die Temperaturen sind kein Problem. Kälter als 4° C wird das Seewasser nie, und wir sind gut ausgerüstet. Bei Bedarf greifen wir auf beheizbare Unterziehanzüge zurück.»
Bewusste Atmung ist hilfreich
Hat er privat überhaupt noch Lust zum Hobbytauchen? «Absolut. Aber wenn ich privat tauche, widme ich mich dem Apnoetauchen. Ein Atemzug. Tauchen. Hochkommen. Luft holen. Ganz ohne Flaschenluft. Ich bin so schon rund 50 Meter tief getaucht, das sind jeweils sehr spannende Erfahrungen. Atmen ist so ein grossartiges Tool, nicht nur beim Tauchen. In meiner Freizeit gebe ich deshalb auch Atemworkshops und Freediving-Kurse. Ich durfte schon mit Marathonläufer*innen arbeiten, mit Reiter*innen oder Sportschütz*innen. Überall spielt die Atmung eine zentrale Rolle. Dieses Wissen gebe ich heute weiter.»
Energieverbund Thalwil in Kürze
Seit Herbst 2022 beziehen rund 100 Haushalte Kälte und Wärme aus dem Zürichsee. Zwei Wärmepumpen heizen das Wasser auf rund 72° C auf. Im Winter sorgen zwei Gasheizkessel auch in Spitzenzeiten für ausreichende Wärme. Der Anteil an erneuerbarer Energie des Systems beträgt mindestens 90%. Gekühlt wird übrigens mit Wasser direkt aus dem See.
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