«Es gibt zahlreiche Hürden, doch wir finden immer eine Lösung»
Die Baustelle in Tiefenbrunnen läuft auf vollen Touren: Energie 360° baut einen Energieverbund mit Seewassernutzung aus dem Zürichsee. Rund 400 Liegenschaften werden in den nächsten Jahren mit erneuerbarer Energie versorgt. Verantwortlich für den Bau ist Nikola Ruvidic.
Publiziert 08.09.2022 Lesedauer 6 minHerr Ruvidic, Sie haben vor rund einem Jahr in Tiefenbrunnen die Projektleitung der Energiezentrale übernommen. Welches sind Ihre Aufgaben?
Die Verantwortung teilen wir auf drei Projektleiter auf: Projektleitung Entwicklung, Energiezentrale und Netz. Als Team treiben wir den gesamten Energieverbund voran. Als Projektleiter Energiezentrale bin ich für die Realisierung und die Umsetzung der Hauptzentrale zuständig – vom Bau bis zur Schlüsselübergabe. In der Zentrale wird das Seewasser aus dem Zürichsee für die Wärmeversorgung aufbereitet. Dies geschieht mithilfe von zwei in Serie geschalteten Wärmepumpen. Ich schaue, dass unser Team alles korrekt umsetzt, was der Projektleiter Entwicklung geplant hat. Im ganzen Bauprozess habe ich eine Kontrollfunktion. Gibt es Probleme, suche ich Lösungen und Alternativen.
Was ist der aktuelle Projektstand?
Aktuell sind wir in der Bauphase: Am 25. Juli 2022 haben wir mit der Baustelleneinrichtung begonnen. Ab Juli 2024 wird die Anlage in Betrieb sein und erneuerbare Energie liefern, die bis zu 400 Liegenschaften versorgen wird.
Derzeit finden Bohrungen für die Wärmepumpenanlage statt.
Was ist speziell am Bauprojekt in Tiefenbrunnen?
In Tiefenbrunnen ist speziell, dass alles unter dem Parkplatz liegt. Oberirdisch wäre natürlich viel einfacher und kostengünstiger. Doch der beschränkte Platz in Zürich lässt dies nicht zu. Spannend finde ich, dass am Schluss 90 Prozent der Bevölkerung diesen spektakulären Bau gar nicht mehr bemerken werden. Die Energiezentrale verschwindet unter dem Parkplatz bei der Fischerstube am Zürichhorn. Nur ein kleiner Zugang weist auf die grosse Zentrale hin. Dahinter steckt eine grossartige Technik – so etwas Schönes, aber wir vergraben es einfach (lacht).
Was reizt Sie am Energieverbundprojekt in Tiefenbrunnen?
Mich reizt die gegebene Topografie. Wir können trotz Platzmangels eine so grosse Energiezentrale bauen. Wir sagen nicht einfach: Es gibt keinen Platz. Es gibt zahlreiche Hürden, doch wir suchen immer nach einer Lösung. Wir wollen den Leuten in der Stadt Zürich Alternativen für die typischen Energieträger Öl und Gas bieten. Sie sollen die Möglichkeit erhalten, sich einem Verbund anzuschliessen. So lässt sich der CO2-Fussabdruck verkleinern.
Sie tragen in Ihrem Job grosse Verantwortung. Welches sind die grössten Herausforderungen bei einem so komplexen Projekt?
Neben der Weitsicht und dem lösungsorientierten Denken ist es essenziell, die Kosten sowie das Timing im Blick zu behalten. Terminliche Koordination ist bei grossen Projekten, an denen so viele verschiedene Gewerke arbeiten, ein grosser Bestandteil. Wir sind abhängig von vielen Leuten. Für Projekte dieser Grössenordnung muss ich auch vorausschauen und jederzeit einen Plan B haben. Wenn ich mich verschätze und verkalkuliere, steigen die Kosten ins Unermessliche – und ich habe meinen Job nicht erfüllt. Sollten wir wider Erwarten bis zum versprochenen Termin die Wärme nicht liefern können, müssen wir eine Notlösung beziehungsweise eine Übergangslösung finden.
Verläuft das Projekt Energieverbund Tiefenbrunnen nach Plan?
Bis jetzt sind wir à jour. Unser Team und die Behörden haben einen sauberen Job gemacht und gut kooperiert. Wir haben das ganze Projekt relativ früh lanciert und alle Beteiligten ins Boot geholt. Jetzt kommt es darauf an, vorauszuschauen, Verzögerungen früh zu erkennen und Kapazitäten weitsichtig zu planen.
Die Planung stets im Blick: Nikola Ruvidic behält den Überblick.
Verläuft das Projekt Energieverbund Tiefenbrunnen nach Plan?
Bis jetzt sind wir à jour. Unser Team und die Behörden haben einen sauberen Job gemacht und gut kooperiert. Wir haben das ganze Projekt relativ früh lanciert und alle Beteiligten ins Boot geholt. Jetzt kommt es darauf an, vorauszuschauen, Verzögerungen früh zu erkennen und Kapazitäten weitsichtig zu planen.
Welche Skills sind als Projektleiterin oder Projektleiter besonders wichtig?
In erster Linie muss ich als Projektleiter auch die menschliche Seite sehen. Wir sind alle Menschen – Fehler passieren. Es sind sehr viele Akteurinnen und Akteure beteiligt. Wenn wir unklar kommunizieren, schlagen wir womöglich einen Weg ein, den wir mit viel Aufwand korrigieren müssen. Kommunikation ist ein sehr wichtiger Skill als Projektleiterin oder Projektleiter. Es muss schon sehr viel schief gehen, bis wir nicht mehr weiterwissen. Eine Alternative gibt es immer – wir sind nie machtlos.
Am Projekt sind zahlreiche Parteien beteiligt, etwa die Behörde oder die Polizei. Wie sieht die Zusammenarbeit aus?
Wir hatten bisher drei wegweisende Sitzungen mit zahlreichen Vertreterinnen und Vertretern der Stadt und der Polizei. Für sie waren die Art und Grösse des Projekts etwas Neues. Deshalb haben wir den Bau des Energieverbunds visuell aufgezeigt. Dabei haben wir bemerkt, dass zwischen ihrer Vorstellung einer Energiezentrale und unserer Realität Welten liegen. Die Behörden hatten eine völlig andere Dimension erwartet. Dementsprechend mussten wir mehr Zeit in die Visualisierungen stecken.
Als die Dimension des Projekts allen klar war, wussten wir, dass doch noch viel auf uns und auf die Behörden zukommen wird. Deshalb haben wir Schritt für Schritt die Vorstellungen und Bedürfnisse der einzelnen Beteiligten abgeholt und entsprechend visualisiert. Ein grosser Diskussionspunkt war vor allem der öffentliche Parkplatz.
Wieso das?
Die Vertreterinnen und Vertreter der Stadt hatten erwartet, dass die Parkplätze nur ein bis zwei Monate gesperrt und danach wieder für das Strandbad Tiefenbrunnen, die Restaurants und Events wie die Street Parade und das Züri Fäscht zugänglich sein würden. Dem ist nicht so: Wir benötigen je nach baulichem Fortschritt bis Mitte 2024 etwa drei Viertel der Parkplätze für die Baustelle.
Wir verstehen die verschiedenen Bedürfnisse: Es handelt sich um einen öffentlichen Parkplatz, den wir nicht einfach sperren können. Deshalb haben wir Alternativen gesucht und gefunden: Unsere Baustelle ist sehr flexibel. Steht ein grosser Event bevor, zügeln wir Teile unserer Infrastruktur und geben so Parkplätze frei. Das zu organisieren, war eine grosse Herausforderung.
In Tiefenbrunnen stellten die Parkplätze eine grosse Herausforderung dar. Mit einem Kompromiss konnten wir alle zufriedenstellen.
Nikola Ruvidic
Projektleiter Lösungen/Lösungsumsetzung
Laien dürften Mühe haben, sich ein so grosses Projekt vorzustellen. Beim Energieverbund Thalwil haben Sie doch genau das Gleiche gemacht?
Wir sprechen immer vom Gleichen, doch wir beginnen immer wieder von vorne. Jedes Projekt ist individuell. Sie erwähnen das Energieverbundprojekt Thalwil: Auf dem Papier unterscheiden sich die beiden Projekte – von der Idee bis zum Energieträger – auf den ersten Blick kaum. Wir haben aber festgestellt, dass es im städtischen Umfeld ganz andere Herausforderungen gibt als in Thalwil. Aufgrund der Begebenheiten sind die baulichen Massnahmen völlig anders. Projekte dieser Art sind leider nie kopierbar. Es ist zum Beispiel nicht ganz einfach, einen Standort für die Zentrale nahe der Energiequelle zu finden.
Zur Person: Nikola Ruvidic
Nikola Ruvidic fasste in vielen Bereichen Fuss. Er absolvierte nach seiner Lehre als Dachspengler drei weitere Lehren: als Sanitärinstallateur, Sanitärplaner und Heizungsplaner. Danach vertiefte er sein Energiewissen in einem Nebenstudium an der Technikerschule mit Fachrichtung Heizung. Es folgten drei Jahre als Projektleiter im Bereich HLK (Heizung-Lüftung-Klima) und sieben Jahre in einem Ingenieurbüro. Nikola Ruvidic arbeitet seit 2021 als Projektleiter bei Energie 360°.
Sie sind verantwortlich für den gesamten Bauprozess. Wo verbringen Sie mehr Zeit – auf der Baustelle oder im Büro?
Das hängt von der Bauphase ab. Bevor wir die Baustelle einrichten, besteht meine Arbeit aus Dokumenten, Berechnungen, Kommunikation und Kontrolle – das ist klar ein Bürojob. In der Phase der Lancierung und des Baubeginns verbringe ich etwa 80 Prozent meiner Arbeitszeit in Tiefenbrunnen auf der Baustelle.
Für die Förderung erneuerbarer Energien betreiben Sie sehr viel Aufwand. Lohnt sich dieser Einsatz?
Angesichts der Energiekrise in Europa lohnt sich unser Einsatz sehr. Die Schweiz ist noch immer abhängig von fossilen Energieträgern wie Gas und Öl. Der Ausgang des Kriegs in Osteuropa ist ungewiss. Indem Energie 360° Energieprojekte dieser Art umsetzt, können wir den Leuten die Angst etwas nehmen. Die Verantwortung der Energieversorgung liegt somit nicht mehr im Ausland, sondern bei uns. Zudem sind die Klimaprobleme klar ersichtlich. Mit unseren Projekten wirken wir diesen entgegen, vor allem auch für zukünftige Generationen.
Ich habe selbst zwei Töchter. Ihr und den kommenden Generationen möchte ich keinen Scherbenhaufen hinterlassen – das ist mein Antrieb.
Nikola Ruvidic
Projektleiter Lösungen/Lösungsumsetzung
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